Landtagspräsident Peter Straub MdL würdigt 60-jähriges Jubiläum des Grundgesetzes
„Das Grundgesetz ist sehr nachhaltig zum Inbegriff unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung geworden“.
Darauf hat Landtagspräsident Peter Straub (CDU) am Mittwoch, 13. Mai 2009, zu Beginn der Plenarsitzung im Stuttgarter Landtag in seiner Ansprache anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes hingewiesen. Prägende Elemente des Grundgesetzes, so der Präsident, hätten nicht zuletzt baden-württembergische Wurzeln. Im Einzelnen führte Straub aus:
„Am 23. Mai vor 60 Jahren ist das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom Parlamentarischen Rat verkündet worden. Damals elf Länder bildeten fortan ein föderales Staatswesen. Auch wir als Landtag von Baden-Württemberg haben Anlass, diesem Datum die Reverenz zu erweisen.
Unsere Hochachtung gilt namentlich den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die von den drei südwestdeutschen Landtagen entsandt worden waren. Alle hatten bei der Schlussabstimmung über den Verfassungsentwurf am 8. Mai 1949 mit Ja votiert. Aus Baden: Friedrich Maier und Anton Hilbert, der im März 1949 für Hermann Fecht nachgerückt war. Aus Württemberg-Hohenzollern: Carlo Schmid und Paul Binder. Aus Württemberg-Baden: Fritz Eberhard und Gustav Zimmermann sowie Theodor Heuss und Adolf Kühn, die im Februar 1949 an die Stelle von Theophil Kaufmann und Felix Walter getreten waren. Der Landtag von Württemberg-Baden und der Badische Landtag stimmten dem Grundgesetz am 18. Mai 1949 zu; der Landtag von Württemberg-Hohenzollern folgte drei Tage später.
Nach der Nazi-Diktatur und ihren Menschheitsverbrechen einen neuen, stabilen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu begründen, das verlangte zuvorderst zweierlei:
– glaubwürdige ethische Entschiedenheit;
– und den festen Willen, das parlamentarische Regierungssystem institutionell so zu sichern, dass es nicht mehr von zerstörerischen Kräften lahmgelegt werden kann.
Die Verfassungen der drei südwestdeutschen Länder dienten dabei als Muster. Prägende Elemente des Grundgesetzes haben nicht zuletzt baden-württembergische „Gene“. Zum Beispiel der Artikel 67, das konstruktive Misstrauensvotum. Oder die Tatsache, dass die Grundrechte im ersten Abschnitt der Verfassung statuiert sind.
Eine Würdigung wäre unvollständig, ohne an Theodor Eschenburg zu erinnern, der den Artikel 118 als maßgeschneiderte Plattform für die Bildung des Südweststaates erdacht hatte und zusammen mit Gebhard Müller von außen in die Arbeit des Parlamentarischen Rates einzubringen wusste.
Das Grundgesetz bewährte sich vom ersten Tag an
– als Garant der Grundrechte,
– als staatspolitisches Regelwerk,
– als Bauplan für eine verlässliche, friedliche und dennoch wehrhafte Demokratie
– und als Sockel für das Erfolgsmodell „Soziale Marktwirtschaft“.
Identität stiften konnte das Grundgesetz hingegen zunächst nicht für alle Deutschen. Es sollte ja nur ein Provisorium sein, das die deutsche Teilung nicht zementiert. Seine Entstehung war zudem wenig spektakulär. Über die Diskussionen des Parlamentarischen Rates hatten bloß wenige Tageszeitungen regelmäßig berichtet. Und die materiellen Sorgen jener Zeit relativierten im Bewusstsein der Menschen ohnehin vieles.
Zu den wichtigsten Entwicklungen der vergangenen sechs Jahrzehnte gehört deshalb, dass das Grundgesetz sehr nachhaltig zum Inbegriff unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung geworden ist. Der Alltag hat gezeigt: Das Grundgesetz verhindert den notwendigen Wandel nicht. Aber es garantiert bei allem Veränderungsdruck feste persönliche und gesellschaftliche Kernbereiche.
Die Bürgerinnen und Bürger wissen das Grundgesetz auf ihrer Seite. Genau das wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates erreichen. Durch das Grundgesetz formulierten sie eine radikale Absage an jede Art von Totalitarismus, Willkür und Überhöhung des Staates. Sie manifestierten das Primat des Rechts. Und ihr Leitbild war der dienende Staat – der Staat, der für die Menschen da ist. Dahinter stand zugleich eine große Erwartung an den Einzelnen – nämlich die Erwartung, dass er die garantierte Freiheit auch für die Gemeinschaft nutzt. Das heißt: Freiheit bedarf persönlich gelebter Werte, individuell praktizierter Ideale und eines Gewissens für das Ganze.
Eine Verfassung beschreibt, wie ein Gemeinwesen sich sieht und nach welchen Maximen es seine politische, ökonomische und soziale Wirklichkeit gestalten will. Zwischen Realität und Verfassungstext besteht unweigerlich ein Spannungsverhältnis. In sechs Jahrzehnten Grundgesetz ist dieser Dualismus immer eine Aufforderung gewesen, sich zurückzubesinnen und den Grundgedanken unserer Ordnung unter veränderten Bedingungen Geltung zu verschaffen.
Davon müssen wir uns in Zukunft leiten lassen. Denn: Alles, was den Kern des Grundgesetzes ausmacht, ist wesentlich für das Gelingen der europäischen Integration und für die Akzeptanz der Globalisierung. Denken wir an Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Denken wir an das Sozialstaatsgebot und an das Strukturprinzip, das für unser Land existenziell ist: den Föderalismus!
Sechzig glückliche Jahre auf dem Fundament des Grundgesetzes sollten uns – angelehnt an Goethe – sagen lassen: „Was du ererbt von deinen Verfassungsmüttern und -vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“
Quelle: Landtagspressestelle / CDU-Landtagsfraktion BW